1.7.94

Ich fühle mich blutleer
unter blutleeren Geschöpfen
das Wunder der Schöpfung
lässt mich kalt
ich gehe pinkeln und
schlecke anschließend ein Eis
der Tag ist `ne Filmrolle
auf `nem Projektor
und ich latsche 2-dimensional
über die Leinwand
und irgendwas von mir sitzt
im Zuschauerraum, reibt
sich die Augen, popelt
schläft
erwacht kurz in der Dunkelheit
allein mit der Leinwand
dem Lichtstrahl und dem Surren
des Projektors
er hört sich sagen:
„Ein Eis mit 1er Kugel
Schokolade und 1er Kugel
Pistazie bitte“


Ist es möglich, dass der
Mensch als einziges
Lebewesen so irre ist?
Flucht zurück in den
Alltag, zurück in mein
Nest
ich muss mich bewegen
weiterbewegen
mechanisch mit eingebautem
Zufallsgenerator für
dosierte Kreativität
die befruchtet
und nicht abwürgt

Ich sitze in der Scheiße
grab dich nicht ein!
uff!

DESPERADO AGAIN

(in der Urfassung:https://abendglueck.wordpress.com/2023/04/29/es-war-gestern-und-ist-doch-heute-32/ )

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29.9.04

Zittern vor Kälte oder vor Liebe

die Kälte einer Frau
nachdem ich sie spüren durfte
auf einer Wiese pflücke ich Blumen
für den Muttertag
wie schnell sie welken
gestern waren wir noch wir
heute nur noch ich und du
der Hader trieb sich um
in unseren Seelen
die Kälte
das ist die Eiszeit unserer Empfindungen
erfroren in den Gedanken
ich liebte dich
in dieser Kathedrale
die ich für die Ewigkeit baute
und heute sehe ich die Ruine
auf den Mauern
moosbewachsen
liege ich nur noch
als Träumer und bete für eine bessere Welt
für gute Menschen
mein Knochengerüst juckt
auf dem harten Untergrund

du erzählst mir Geschichten
die unsere Liebe unmöglich machen
es sind die Argumente der Politiker
die ich tagtäglich in den Foren
der Medien höre
auf den schwarzen Steinen
ihrer Vernunft
die Adern in Marmor gegossen

ich muss nachgeben
weich will ich sein
damit sich alles in mich ergießt
es war ein schöner Augenblick mit dir

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x.x.90

Der einarmige Billardspieler

Stolze Menschen ziehen mich an
Gestern Abend war es der
Einarmige Billardspieler
Das ganze Drumherum ist schuld an
Meinen Überlegungen
Man sollte alles auf das Wesentliche reduzieren
Die Poesie des Wesentlichen
Die Hände sind schweißig
Dein Lächeln entzückt mich
Aufrichtigkeit ist
Luftleer
Durchgezirkelte Räume und
Ordnungen befriedigen
Nicht
Die Überlegungen sind schuld
Das Gesicht brennt
Der Knochen Leben trägt dick auf

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27.8.02

Die Leber im Whiskeyglas

Ich saß mit Fauser an der Bar, während Henry seine Wette abgab.
„Was hältst du von ihm?“ fragte ich Jörg.
„Er ist besser als ich.“
„Ist er besser als Burroughs?“
„Er ist anders.“
Wir bestellten uns noch 2 Whiskey ohne Eis. L.A. war ein heißes Pflaster, das ich nur scheintot ertragen konnte.
Ich sagte: „Aber Ernest ist der beste von allen.“
„Sie waren alle gut. Mal mehr, mal weniger.“
„Stimmt.“ Wir stießen an.
„Auf die nächste Möse, die uns über den Weg läuft.“
„Yeah.“
„Yeah.“
Ich drehte mich um und betrachtete die Menschen, die wie Ameisen durcheinanderliefen.
„Hoffentlich platziert er eine gute Wette.“
„Hoffentlich überlebe ich heute“, sagte Jörg.
„Elsa mag ihn nicht“, sagte ich.
„Elsa?“
„Sie erinnert sich nur an Die Leber im Whiskeyglas.“
Jörg kippte seinen Whiskey hinunter.
„Ist Elsa ein Pferd?“
Ich schwieg. Jörg drehte sich einen Joint. Der Barkeeper war im Hinterzimmer verschwunden und holte sich einen runter. Henry kam vom Wettschalter zurück.
„Hello Boys.“
„Hi Henry.“
„Hallo Arschloch.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich euch Zombies hier treffe.“ Ich grinste so breit wie die Golden Gate Bridge. Henry war schon eine Weile tot, Jörg noch länger. Der Barkeeper knöpfte seine Hose zu und schaute uns fragend an.
„Three Whiskey please“, sagte ich, „Ähm, und schmeiß in Henrys bitte ein Stück Leber.“
„What?!“
Wir bekamen unsere 3 Whiskey. Henry platzierte seine nächste Wette. Elsa ging als letzte über die Ziellinie. Jörg und ich wetteten darum, bei wem von uns zuerst das Licht ausgehen würde.

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7.6.03

Der Fingersammler

Kaspar sammelte Finger, beringte, unberingte, krumme und gerade, kräftige und schlanke. Am liebsten mochte er lange Finger. Der längste in seiner Sammlung maß 18 Zentimeter! Natürlich ein Mittelfinger. Er mochte auch die von Gicht ganz krummen. Die sahen wie knollige Äste aus. Kinderfinger lehnte er ab. Kaspar mochte nicht an winkende Kinderhände denken, denen Finger fehlten. Er besaß inzwischen 1.523 Finger und hatte einen Daumen-Überschuss. Einzelne Fingerglieder wanderten in den Müll. Zu seinen Kunden sagte er: „Ich mag keine halben Finger. Vor allem keine Daumenkuppen.“ Aber wenn die Bittsteller ihn flehend anschauten, wurde Kaspar meist weich. Dann pflegte er zu sagen: „Ich bin viel zu gutmütig. Fehlt noch, dass sie mir ihre Fingernägel andrehen wollen …!“
Man fragt sich, was er mit all den Fingern anfangen wollte. Nun, er sammelte sie wie andere Leute Schmetterlinge oder Briefmarken. Kaspar sammelte Finger. Er erhoffte sich, etwas über Finger zu lernen. Umso mehr er haben würde, so dachte er, desto mehr würde er über sie erfahren. Aber warum weckten gerade Finger sein besonderes Interesse? War es die Erinnerung an die drohenden Zeigefinger der Erwachsenen in seiner Kindheit? Der herausgestreckte Tramper-Daumen seiner Jugend? Der provokative Stinkefinger? Der Ringfinger, der für die Liebe stand? Oder der aus Vornehmheit oder Exzentrik abgespreizte kleine Finger? Kaspar hatte vor, ein regelrechtes Fingermuseum einzurichten, damit jeder Mensch sehen konnte, wie unterschiedlich Finger sein können. Die Besucher würden an tausenden wohlpräparierten Fingern in Glasvitrinen vorbeiwandeln. Und am Ausgang hätte man die Gelegenheit, selbst einen Finger abzuzweigen, unter sterilen Bedingungen chirurgisch einwandfrei, wofür man natürlich gut entlohnt werden würde. Auch eine Fingerauktion wäre denkbar. So dachte Kaspar leidenschaftlich an sein Projekt, Tag für Tag. Er betrachtete seine Hände voller Ehrfurcht. Er spreizte seine Finger, streckte seine Hände in die Höhe und lachte glücklich. Manche Finger blieben eben unbezahlbar.

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3.4.03

Wüstennacht

Mir ist es scheißegal, ob ihr nachempfinden könnt, welche unendliche Kälte uns umgibt – nichts als Wüste, die seit 14 Milliarden Jahren auseinanderdriftet. Möglicherweise gibt es uns nur deshalb, weil gewisse Naturkonstanten zur richtigen Zeit miteinander poppten… Immerhin schenkten sie uns den Mond und Jesus – somit sind wir nicht ganz allein, wenn sich das Licht der Sterne in unseren einsamen Augen spiegelt. Ich wünsche mir eine laue Sommernacht mit einem halben Mond, der sich durch die Wolken mogelt, mit dem Zirpen der Zikaden und einem fernen Lagerfeuer, den Stimmen meiner Vorfahren, während ich mich im Schutze eines Busches zusammenkauere und den Schlaf erwarte. Meine Haut brennt noch von der Hölle des Tages. Die Erde kühlt, ich küsse sie, als wäre sie meine Geliebte…
Warum hat alles Grenzen? – die Masse der Sonne, der Erde, des Monds, des Elektrons – wir Menschen sind Künstler des Ausmessens von den Quanten bis zu den Galaxien. Wir sind zum Messen verflucht. Selbst Gott würden wir vermessen. Unser Land haben wir längst verkauft, unsere Seelen klammern sich verzweifelt an die Ahnung von Liebe. Wir sollten endlich die Wüste, die Leere um uns herum erkennen…
Wir sind eine Familie und sitzen gemeinsam auf dieser wunderbaren Erde – it`s our home. Wir erzählen uns Geschichten von guten und schlechten Zeiten. Bevor wir uns schlafen legen, küssen wir uns, küssen die Erde.
Unser blauer Planet verschwindet im Sonnensystem, im Staub der Milchstraße, hinter Galaxienhaufen, Dunkler Materie und… und… und… 10 weiteren Dimensionen, die allesamt nicht dazu taugen, die Liebe zu erklären, das Sein zu erklären und uns Halt zu geben. Ich genieße die Nacht, sie beruhigt mich hier und jetzt. Noch spähe ich manchmal zu euch herüber zum Lagerfeuer, sehe eure dämonischen Schatten tanzen…

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13.6.03

Schwarz-Weiß


Wenn ich alte Filme schaue und die jungen Schwarz-Weiß-Gesichter sehe, denke ich fasziniert, dass die meisten davon inzwischen tot sind… Dieses ewige Nachwachsen macht mich mürbe. Geschichten entstehen, werden Geschichte. Wie viele Geschichten passen in ein Leben? Wie schnell ist heute gestern?
Auch die Verliebtheit unterliegt der Korrosion der Zeit mit ganz unterschiedlichen Halbwertszeiten. Es gibt Lieben, die schnell vergehen, und Lieben, die unendlich langsam dahinschmelzen. Manche Lieben dauern an, während ich längst wieder neu liebe.
Ich öffne meine Seele und schaue auf Ruinen, überwuchert vom Efeu des stetig Nachwachsenden, bedeckt vom Staub der Zeit-Winde, niedergemacht vom Ego der Gegenwart… Die Gegenwart ist brutal. Wir suchen sie sehnsüchtig auf. Wir verzweifeln an ihr. Wir scheitern an ihr.
Der Schwarz-Weiß-Film fasziniert. Robert Mitchum in einer Paraderolle. Er hatte diesen Schlafzimmerblick – wie geschaffen für die Rolle des Detektivs Marlow.
Ich träume. Ich träume mich in eine Schwarz-Weiß-Welt, in eine Gut-Und-Böse-Welt, in eine Welt der Helden und der Anti-Helden – von gestern, von heute, von morgen… bis das Licht ausgeht.

13.06.2003
(redigiert am 08.05.2022)

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6.8.00

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X.X.02

Amnesie

Man hat eine orientierungslose Frau
in Fürth aufgegriffen, die sichtlich
heruntergekommen vor der
Tür des T-Punkts lag
die Schuhe musste man ihr von
den Füßen schneiden
ihre Fußsohlen waren enthäutet
Zur selben Zeit erschoss ein Verrückter
drei Menschen in einem Erfurter Gymnasium
und wartete auf seinen Fall-Down
durch ein Spezialeinsatzkommando

Nichts wird sein wie vorher, sagt
ein Bürger und zerreißt
einen Liebesbrief
Im 3. Stock des Wohnblocks liegt ein
verlassenes Baby halbzugedeckt
in seiner Wiege
und plärrt sich vor Hunger die Seele
aus dem Leib
während unten ein Penner auf einer
Parkbank in seiner Kotze liegt
Die Sonne scheint heute nicht
sie leidet unter Amnesie
sie hat ihr Scheinen vergessen

Ich gehe in die nächste Runde:
unter mir rumort der Erdkern
und rülpst zur Erdkruste hinauf
natürlich stürzen dabei ein paar Häuser
in Venezuela ein
Ein südafrikanischer Multimillionär
schwebt indessen in der Umlaufbahn
und erfreut sich an der göttlichen Kulisse
des blauen Planeten
In meinem Zimmer wird es dunkel
auf der Tastatur greifen meine Finger daneben
wenn ich die Musik abdrehe, höre ich
das Rauschen der Autobahn
ich möchte mich mit einem Plakat auf
die Autobahnbrücke stellen
darauf in großen Lettern zu lesen:
„DER WAHNSINN FAEHRT WEITER!“
Kraftfahrer dämmern hinterm
Lenkrad ein
ein Sattelschlepper zerdrückt eine Wagenkolonne
zu Brei, und ein herumirrendes Unfallopfer wird
von einem Kotflügel enthauptet
wir sammeln die Leichen ein

Jeder Tag bringt den totalen
Erinnerungsverlust
wie immer gehe ich in den Super-
markt und stelle meine abgestumpften
Gefühle aufs Laufband
die Kassiererin schaut grimmig
als der Oma vor mir ihre Geldbörse aus der Hand gleitet
in Zeitlupe sehe ich die Münzen herabsegeln
urplötzlich holt die Kassiererin einen
silbrig glänzenden Smith & Wesson Colt
aus dem Nichts hervor
und schießt sich in den Kopf
Hirn und Blut spritzt
mir ins Gesicht
Wo bezahle ich jetzt mein Bier? frage ich.

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13.2.00

Jedes Nachforschen, Nachsehen verändert die Welt
hin zu einer unlösbaren Bruchrechnung.
Der Praktiker vermag gute Stühle zu zimmern, auf denen ich sitze.
Der Künstler setzt sich in die Baumkrone.

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