27.7.06

Epididymitis links

 

Die Universitätsklinik liegt am Fluss
ein Bienenstock aus Beton
Drohnen in blauen Kitteln wuseln durch die Flure
Ich liege in einer Wabe mit drei Mitpatienten
auf der Urologischen
Dieter, ein korpulenter, humorvoller Geschäftsmann
hält uns bei Laune
er ist zufrieden mit sich und der Welt
am liebsten erzählt er von den Kreuzfahrten mit seiner Frau
und von Palma de Mallorca
der Krebs machte eine Blasenresektion erforderlich
Herr Petrowitsch haucht langsam sein Leben aus
seit Monaten liegt er im Krankenhaus
jeden zweiten Tag wird er dialysiert
als sie ihn aufmachten, entdeckte der Operateur
einen Tumor an der Leber
Petrowitsch verschläft die Tage mit halboffenen Augen
Dieter witzelt: „Der will unbedingt in den Himmel …“
Neben mir liegt Meyer – Hodenkrebs
nach der OP erhält er die vernichtende Nachricht
dass es bösartig ist
seine Frau ist bei ihm, und er weint
sie spricht ihm Mut zu: „Zusammen werden wir es schaffen …“
Meyer hat zwei Kinder
Mein Bett steht am Fenster, und ich schaue in den
arschglatten Sommerhimmel
das Antibiotikum tropft in meine Armvene
Es ist Wochenende, am Flussufer bauten sie ein Zelt auf
die Klinik feiert Sommerfest
die Musik schallt ins Krankenzimmer, bis spät am Abend
ein Gewitter die Feststimmung abebben lässt
Ich habe Bettruhe
wenn mich Dieter nicht unterhält, oder ich zu Untersuchungen
samt Bett über die Flure geschoben werde
lese ich einen dicken Roman
und in der Dunkelheit der Nacht spreche ich mit einem Stern
der mir am Firmament auffiel
Der junge Oberarzt sagt, dass sie mich Anfang nächster
Woche entlassen können
die Entzündungswerte sind deutlich rückläufig
die Abschwellung des Hodens könne noch dauern
und ich solle mich auf alle Fälle schonen
„Kühlen und hoch lagern“, betont der Arzt wiederholt
Nach einer Woche lasse ich mir das erste Bier im Kaffeehaus
nicht nehmen
es funkelt mich geradezu an
ich bin glücklich
und mit mir muss die ganze Welt glücklich sein
ich denke an Petrowitsch und Meyer und die Frohnatur Dieter
ich denke auch an die Drohnen in Blau
die mir in die Venen stachen und mich betreuten
zuhause in meiner Wohnwabe sitze ich auf einer Kühlkompresse
vor dem PC
draußen der arschglatte Sommerhimmel
jeder Tag ist eine neue Buchseite
und das Bier schmeckt schon nicht mehr ganz so gut

 

Über bonanzamargot

Ich wollte, es wäre immer Sommer. Ich wollte, ich wäre immer verliebt. Ich wollte, ich hätte nie Sorgen. Ich wollte, ich hätte unbegrenzt Zeit, um hinter das Geheimnis des Lebens zu kommen: Die Welt um mich herum besser zu verstehen - die Menschen - die Liebe - den Tod...
Dieser Beitrag wurde unter Notizen 06 abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s